Philosophie 2.0 – Wie Weisheit unser Leben bereichern kann
Philosophie. Welche Bilder kommen in euren Kopf, wenn ihr das Wort hört? Ältere Herren (sicher gab es auch ältere Damen…) mit langen Bärten, die über Schreibtische gebeugt im schwachen Kerzenschein Bücher lesen. Stapel von Papyrus, Tinte und Federkiel in greifbarer Nähe, um aufkeimende Weisheiten zu notieren. Zitate, die wir heute auf Pinterest oder Instagram finden, mit diversen Hashtags versehen. #lebenjedentagalswäreesdeinletzter #carpediem
Sprüche, die wir auf Wandtattoos, auf Kalendern oder als Aufsteller aus Holz geschnitzt auf dem Regal stehend sehen:
„Glück entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen.“
„Gib jedem Tag die Chance, der glücklichste deines Lebens zu werden.“
Da wollte ich früher weglaufen und am besten die Holzaufsteller oder Kalender gleich mit vom Regal fegen.
Was ist Philosophie eigentlich?
Philosophie bedeutet wörtlich „Liebe zur Weisheit“ und beschäftigt sich damit, die Welt und menschliche Existenz zu ergründen, zu deuten und zu verstehen. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Herangehensweisen, Fragestellungen und Methoden. Daher sind die Bereiche, in denen sie angewandt wird, sehr vielfältig. Ein Studium der Philosophie gilt gemeinhin als „brotlose Kunst“: Wer Philosophie studiert, studiert Arbeitslosigkeit, so oft die flapsige Aussage. Das liegt vermutlich auch zu großen Teilen daran, dass mit einem Philosophie-Studium kein konkreter Beruf vorgezeichnet ist. Wer Jura studiert, wird Anwalt oder Richter. Wer Medizin studiert, wird Arzt. Wer Lehramt studiert, wird Lehrer. Aber bei Philosophie, wie bei vielen anderen Geisteswissenschaften auch, ist das nicht so eindeutig.
Wer Philosophie studiert, kann am Ende überall landen: Im Medien- und Journalismusbereich, im Bildungs-und Personalsektor, im Kulturmanagementbereich oder auch in der Wirtschaft. Gerade im Hinblick auf die aktuellen moralischen und ethischen Fragen (Abschaffung der Paragraphen zum Schwangerschaftsabbruch etwa), die immer häufiger Gegenstand von aktuellen Diskussionen sind, scheint Philosophie relevanter denn je zu sein. Philosophen lernen im Studium u. a. Reflektionsfähigkeit, Argumentations- und Kommunikationsfähigkeit, Kritikfähigkeit und Kreativität. Das sind meiner Meinung nach Fähigkeiten, die nach wie vor aktuell sind oder sogar noch wichtiger werden in unserer digitalen, vernetzen Welt. Wer kann heute schon sagen, wie die Berufswelt in 10 Jahren aussieht? Welche Fähigkeiten werden wichtiger, welche unwichtiger? Welche Berufe wird es immer noch geben, welche verschwinden? Und werden Berufe entstehen, die wir heute vielleicht noch gar nicht kennen? Wir können es nicht zu 100 % wissen, nur erahnen, vermuten – und darüber philosophieren.
Wonach suchen wir und wenn nicht, warum?
Wenn wir uns in den sozialen Medien bewegen, werden auch heute viele Zitate von Sokrates, Buddha oder Aristoteles geteilt, geliked und gepinnt. Internetseiten, die sich nur mit der Sammlung von Zitaten aus den unterschiedlichsten Kategorien beschäftigen. Was suchen wir denn nach all den Jahrhunderten noch? Weisheiten, an denen wir Halt finden können. Antworten auf die Fragen, die uns beschäftigen: Wie werden wir glücklich? Was ist der Sinn des Lebens? Warum sind wir hier? Früher und auch heute noch bietet für viele Menschen Religion solch einen Halt oder Antwort auf Fragen, die sie beschäftigen. Jedoch sind sie nicht gleichzusetzen, da sie unterschiedliche Ansätze verfolgen. Allein diese Thematik beschäftigt schon genug Menschen.
Tatsächlich geht es mir momentan so, dass ich einige Zitate erst im Laufe der Zeit verstanden haben. Also VERSTANDEN verstanden habe. Es ist etwas anderes, wenn wir diese Zitate lesen und ja, wir verstehen sie inhaltlich sehr wohl, keine Frage. Aber sie resonieren nicht mit unseren Herzen. Wir verstehen nicht, was wirklich gemeint ist. Wie viele von den Wandtattoos oder Deko-Schriftzügen werden von den Menschen wirklich verinnerlicht und wie viele sind einfach schöne Dekoration? Was steckt wirklich dahinter?
Lebensmottos für Jedermann?
Manche Zitate werden für Menschen zu einem Lebensmotto. Habt ihr eins? Ich habe (Überraschung!) keine empirische Studie darüber gefunden, wie viel Prozent der Menschen so etwas wie ein Motto haben. Interessieren würde es mich aber schon. Ohne auch das empirisch beurteilen zu können, würde ich behaupten, dass sehr viele erfolgreiche und bekannte Persönlichkeiten (vielleicht die meisten?) Mottos oder Leitsätze hatten. Dazu gehören etwa Steve Jobs oder Thomas A. Edison. Was zuerst da war, das Ei (der Erfolg/die Bekanntheit) oder das Huhn (das Motto), überlasse ich unserer Interpretation. Als ich kürzlich durch meine Abitur-Zeitung blätterte, las ich die Steckbriefe, die wir damals über uns selbst schrieben. Darunter gab es auch den Punkt „Lebensphilosophie“. Die Antworten waren vielfältig:
„Das Leben ist kein Ponyhof.“
„Die Hoffnung stirbt zuletzt.“
„Man erntet, was man sät.“
Was bei mir stand? „Hat bisher auch ganz gut ohne funktioniert.“ Ein Hauch Nihilismus war absolut beabsichtigt, aber so habe ich wirklich gedacht. Alle Zitate erschienen mir zu platt, sie haben mir nichts gegeben oder mich nicht nachhaltig berührt. Es wäre für mich nicht echt gewesen, dort irgendeinen schönen Spruch hinzuschreiben. Ich hätte ohnehin damals nicht sagen können: DAS ist jetzt das eine Zitat, was all das abbildet, was mir wichtig ist. Dafür kam mir das Leben zu komplex vor, um es in einen Satz zu quetschen. Der Meinung bin ich immer noch.
Ein Kaiser leuchtet ein
Aber mittlerweile gibt es einige Zitate, die ich wirklich verstanden habe. Woran ich das merke? Sie schießen plötzlich in meinen Kopf in einer Situation, in der sie haargenau passen. Unbewusst lungern sie also schon in meinem Bewusstsein. Aber erst, wenn ich mich dafür öffne und mir bestimmte Dinge bewusst mache, kann ich sie verstehen. Ganz sicher wusste ich es zum Beispiel bei einem Zitat, dass in einer Situation, in der ich schon in meinen negativen Autopilot anschalten wollte, in meinen Kopf geschossen kam: „Mit der Zeit nimmt unsere Seele die Farbe unserer Gedanken an.“ Ein Zitat von Marcus Aurelius (einem römischen Kaiser, besser bekannt als Marc Aurel). Und das war das erste Mal, dass ich es wirklich verstanden habe. Es gibt so viele Zitate, die die gleiche Message senden, hier nur ein Auszug:
„Was du denkt, das wirst du.“ (Buddha)
„Unser Leben ist das, wozu unser Denken es macht.“ (Marcus Aurelius)
„Ob du glaubst, du kannst es, oder ob du glaubst, du kannst es nicht: Du hast recht.“ (Henry Ford)
Philosophieren mit uns selbst
Unsere Gedanken bestimmen unsere Realität, das ist die Kernaussage all dieser Zitate. Den ganzen Tag, jede Minute, jede Sekunden, fliegen Gedanken durch unseren Kopf. Wir sprechen also permanent mit uns selbst. Im besten Fall positiv, bestärkend („Ich schaffe das“, „Ich verdiene es, meine Träume leben zu dürfen“), im schlechtesten und gar nicht so unwahrscheinlichen Fall eher negativ: „Ich schaffe das sowieso nicht“, „Ich bin doch gar nicht gut genug“, etc. Und diese Eigenkommunikation ist nicht zu unterschätzen.
Worauf ich mich konzentriere, das bestimmt mein Leben. Und damit auch, wie ich mich fühle. Wenn ich meinen Fokus auf bestimmte Dinge lenke, fließt dahin meine Energie und davon entsteht mehr in meinem Leben. Diese selektive Wahrnehmung funktioniert in beide Richtungen: Positiv wie negativ. Ein ganz einfaches Beispiel: Autokauf. Als mein erster Autokauf anstand, wollte ich unbedingt einen Peugeot 206. Und plötzlich sah ich sie überall. Wie viele Leute einen Peugeot 206 fuhren! Wieso habe ich das vorher nie gesehen? Weil mein Fokus woanders lag. Ich habe alles daran gesetzt, ebenfalls einen 206 mein Eigen nennen zu können – und natürlich habe ich am Ende einen Peugeot 206 gefunden, der mir viele Jahre Freude bereitet hat.
Trotz dieses Mindset-Appells bedeutet das nicht, dass wir alles nur durch die rosarote Brille sehen und negative Gedanken verdrängen sollen. Das ist nicht möglich, nicht förderlich, aber auch gar nicht nötig. Wo Licht ist, ist immer auch Schatten, das Leben ist polar und das ist auch gut so. Aber wir sollten uns bewusst machen, wie wir mit diesen negativen Gedanken umgehen wollen. Uns überlegen, was sie uns sagen wollen oder wovor sie uns schützen wollen. Aber am Ende entscheiden wir, worauf wir uns konzentrieren.
Philosophie 2.0
In unserer digitalen Zeit mag es altmodisch erscheinen, sich mit Sokrates und Aristoteles auseinander zu setzen. Die Probleme und Herausforderungen, die wir heute haben, haben augenscheinlich doch gar nichts mit dem zu tun, was die Menschen damals beschäftigt hat, oder? Aber ist das wirklich so? Stress, Leistungsdruck, Sorgen, Ängste, Trauer, die Suche nach Glück – alles was unsere Seele heutzutage quält, kannten auch schon die Menschen vor 200 Jahren, auch ohne Smartphones und Social Media. Vielleicht in anderer Form, aber sie kannten sie. Und vermutlich ist das auch der Grund, wieso die Philosophie in ihren vielfältigen Ausprägungsformen heutzutage noch praktisch angewendet wird – ob bewusst oder nicht.
Wir können uns ruhig mal mit den Philosophen der Antike wie Sokrates oder Aristoteles auseinander setzen. Oder wem das zu staubig und wenig praxisnah ist, auch gern mit den Kollegen unserer Zeit wie Richard David Precht oder Albert Kitzler. Vielleicht finden wir doch den ein oder anderen Ansatz, der uns weiterhilft, uns neue Denkanreize gibt. Vielleicht schießt irgendwann ein Zitat in unseren Kopf, in einem ganz unerwarteten Moment. Und wir stellen fest: Ach, DAS war damit gemeint.
Ich habe immer noch kein Lebensmotto, weil ich mich nach wie vor nicht auf eins festlegen könnte. Aber das kann ja noch kommen. Solange sind hier meine liebsten inspirierenden Zitate:
„Günstige Winde kann nur der nutzen, der weiß, wohin er will.“ (Oscar Wilde)
„Es ist besser, unvollkommen anzufangen, als perfekt zu zögern.“ (Thomas A. Edison)
„Unser Charakter ergibt sich aus unserem Benehmen.“ (Aristoteles)
„Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.“ (Sokrates)
„Wer nach vorne blickt, kann nicht wissen, was zusammenhängt. Nur im Rückblick erscheint etwas logisch.“ (Steve Jobs)
Wie steht ihr zu Zitaten und Weisheiten? Gibt es Lebensmottos oder Zitate, die euch berühren und nach denen ihr euch richtet? Oder findet ihr das Thema zu theoretisch und wenig realitätsrelevant?